Mit Männern, die „1000 Volt in den Oberarmen“ haben, auf Umzugs-Tour: Bodybuilding für eine Dame –

ein Tag als Möbelpacker

Eine Serie in der Allgemeinen Zeitung von Oliver Klempert.

Uelzen/Hankensbüttel:
Kloster Isenhagen. Es ist die Hölle. Mit einer Sackkarre bringe ich immer drei Umzugskartons auf einmal zum Hauseingang. Dann nehme ich einen nach dem anderen, schleppe ihn zum LKW und hebe ihn auf die Ladefläche. Wie gesagt, es ist die Hölle. Wenn nicht gleich, so werde ich mir spätestens nachher einen Bruch gehoben haben. Ein Tag als „Möbelpacker“!

Auf dem Flur in dem Hankensbütteler Damenstift stehen Berge von Kartons mit Büchern und Geschirr, Lampen, Tüten und voll Kleinigkeiten. Bei der Ankunft nach zirka 40minütiger Anfahrt ist mein erster Eindruck: „Das geht ja noch!“ Der Hausstand der 73jährigen Dorothee-Elisabeth von Ellerndorff* nimmt im Gang des ehemaligen Isenhagener Klosters eine Länge von rund acht Metern ein, rund einen Meter ist der Berg hoch. Die Überraschung aber wartet in der Wohnung. Dort stehen riesige, sündhaft teure Biedermeierschränke und Vitrinen, vollgestellt mit wertvollen Gläsern, ein Kleiderschrank, bis oben voll mit Kleidern und natürlich ein Bett ...Hausrat aus Jahrzehnten.

Oje, oje. Frau von Ellerndorff steht wehmütig inmitten des Durcheinanders und sucht nach dem Schlüssel für eine Kommode. „Da sind wichtige Papiere drin“, sagt sie, „ich hatte vergessen, sie vorher herauszunehmen“. Schließlich findet sie den Schlüssel. Doch warum zieht sie aus Hankensbüttel weg? „Wegen des Klimas hier“, sagt die ältere Dame, „es ist hier einfach zu sumpfig, und das verträgt sich nicht mit meinem Rheuma.“ Außerdem zieht es die 73jährige wieder in die Heimat. Als gebürtige Altenburgerin möchte sie wieder nach Thüringen. Während sie plaudert, schleppen der 29jährige Möbepacker Maik und der 35jährige Ralf Kisten zum 168 PS-starken Siebeneinhalbtonner-Umzugs-LKW mit spezieller Federung. „Packer“ Hans-Peter aus Bodenteich verstaut die Fracht fachmännisch und zurrt die Kisten mit Gurten fest.

Das Wertvollste, was sie einmal transportiert haben? Hans-Peter erinnert sich: „Eine Ming-Vase. Rund einen Meter hoch. Bestimmt um die Hunderttausend wert. Kam aus Bad Bevensen.“ Nach einer Stunde hängen mir die Arme in den Kniekehlen - Doch das Gröbste ist geschafft. Zigarettenpause. „Sei froh, daß kein Klavier oder gar ein Flügel dabei ist - das wäre eine Keulerei“ wird mir gesagt. Ja, hier sind Männer am Werk, die 1000 Volt in den Oberarmen haben. Mir wird klar: Was wir hier machen, ist „Bodybuilding für eine Dame“. Möbelpacker brauchen kein Fitnessstudio für den Muskelaufbau. Und heute, das sei „nur“ ein mittelgroßer Umzug...

Weiter geht's anschließend mit „Klein-kram“. Dutzende Teller, Tassen und Gläser wollen in Packpapier eingewickelt und ordentlich verstaut werden. Maik stößt auf Teures: Eine Schale aus Rosenthal-Porzellan. Behutsam, sehr behutsam verstaut er die Schale in einer gesonderten Kiste - schließlich soll ein Versicherungsfall unbedingt vermieden werden.
„Absurde“ Fälle? Klar, die haben die drei Uelzer Möbelpacker auch schon erlebt: „Wir hatten mal eine Dame, die ent-schloß sich nur einen Tag nach dem Umzug, wieder in ihre alte Wohnung zurückzukehren.“ Ihr sei es in der neuen Wohnung einfach zu einsam gewesen! Alte Möbel schätzen die Packer besonders: „Die können problemlos immer wieder montiert werden - das war noch echte
Wertarbeit!“

Nach vier Stunden ist es vollbracht: Der Hausrat von Dorothee von Ellerndorff ist im LKW verstaut. Zum Schluß noch die höllisch schwere Waschmaschine - eine Herausforderung auch für profes-sionelle Möbelpacker. Dann geht's heim nach Uelzen. Und von dort aus startet morgen früh um vier Uhr, während sich meine Armmuskeln noch im Tiefschlaf entspannen, der Wagen nach Thüringen und bringt Dorothee-Elisabeth von Ellerndorff ihr Leben nach...

* Name geändert

---

Aus:

Oliver Klempert: "Bodybuilding für eine Dame. Mit Männern, die ,1000 Volt in den Oberarmen' haben, auf Umzugs-Tour: Bodybuilding für eine Dame – ein Tag als Möbelpacker. Eine Serie in der Allgemeinen Zeitung von Oliver Klempert," in: Allgemeine Zeitung Uelzen, 14.11.1998.